Von Kenan Engin
Migration und Obdachlosigkeit sind zwei eng miteinander verbundene soziale Phänomene, die in Großstädten wie Berlin besonders sichtbar sind. Polenstämmige Obdachlose in der deutschen Hauptstadt stellen ein Beispiel dar, wie Arbeitsmigration, soziale Isolation und strukturelle Herausforderungen zu prekären Lebensverhältnissen führen können. Allein am Ostbahnhof leben etwa 50-60 Obdachlose aus Polen. Die Ursachen und Auswirkungen dieser Problematik sind vielschichtig und erfordern eine differenzierte Betrachtung.
Ursachen der Obdachlosigkeit unter polnischen Migranten
Polen gehört zu den wichtigsten Herkunftsländern von Migrant*innen in Deutschland, insbesondere seit der EU-Erweiterung 2004 und der Öffnung des deutschen Arbeitsmarkts für osteuropäische Arbeitskräfte. Viele Pol*innen kamen nach Deutschland, um der Arbeitslosigkeit und wirtschaftlichen Unsicherheit in ihrer Heimat zu entfliehen. Während einige erfolgreich Fuß fassen konnten, gerieten andere in prekäre Beschäftigungsverhältnisse oder fanden keine Arbeit.
Der Weg in die Obdachlosigkeit ist oft ein schleichender Prozess. Häufig führen niedrige Löhne, fehlende Arbeitsverträge oder die Ausbeutung in der Schattenwirtschaft dazu, dass Migrant*innen ihre Lebensgrundlage verlieren. Hinzu kommen Sprachbarrieren und mangelnde soziale Netzwerke, die es erschweren, Hilfe in Anspruch zu nehmen oder sich in das deutsche Sozialsystem zu integrieren. Ohne festen Wohnsitz verlieren Viele den Zugang zu staatlichen Leistungen wie Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe, was die Situation weiter verschärft.
Das Leben auf der Straße in Berlin
Berlin, mit seinen vielfältigen Arbeitsmöglichkeiten und einem vergleichsweise dichten Netz an Hilfsangeboten, zieht viele Migranten an, die sich eine Verbesserung ihrer Lebensumstände erhoffen. Gleichzeitig ist die Stadt mit einer hohen Zahl obdachloser Menschen konfrontiert. Laut Schätzungen der Bundeszentrale für politische Bildung leben bis zu 20.000 Wohnungslose und 5.000-8.000 Obdachlose genannt –ein Viertel davon sind Frauen. Die meisten sind alleinste-
hend, es gibt aber auch obdachlose Paare und Familien, darunter ein signifikanter Anteil aus osteuropäischen Ländern wie Polen, Rumänien und Bulgarien.
Das Leben auf der Straße ist geprägt von Unsicherheit, Gewalt und gesundheitlichen Risiken. Besonders im Winter wird die Situation für obdachlose Menschen lebensgefährlich. Viele polnische Obdachlose nutzen Notunterkünfte und Hilfsangebote von karitativen Organisationen, wie Polnischer Sozialrat e.V., der Caritas oder der Berliner Stadtmission, die oft auf osteuropäische Migrant*innen spezialisiert sind.
Strukturelle Herausforderungen und Lösungsansätze
Eine der größten Herausforderungen bei der Unterstützung polnischer Obdachloser liegt in den rechtlichen und bürokratischen Hürden. EU-Bürger haben zwar das Recht auf Freizügigkeit, jedoch nur unter bestimmten Bedingungen Zugang zu Sozialleistungen. Wer nicht in der Lage ist, Arbeit nachzuweisen oder sich als Arbeitssuchender registrieren zu lassen, steht schnell ohne Unterstützung da.
Hilfsorganisationen fordern deshalb flexiblere Regelungen und mehr niedrigschwellige Angebote, um obdachlose Migranten besser zu erreichen. Sprachkurse, Beratungsstellen und Beschäftigungsprogramme könnten helfen, soziale Isolation zu durchbrechen und eine langfristige Perspektive zu bieten. Gleichzeitig ist eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen notwendig, um die Ursachen der Obdachlosigkeit – wie Armut und soziale Ungleichheit – an der Wurzel zu bekämpfen.
Fazit
Die Situation polnischer Obdachloser, etwa 2.000, in Berlin zeigt, wie eng Migration und Obdachlosigkeit miteinander verknüpft sind. Sie macht deutlich, dass wirtschaftliche Notlagen und soziale Ausgrenzung nicht an nationalen Grenzen Halt machen. Langfristige Lösungen erfordern nicht nur Unterstützung auf individueller Ebene, sondern auch strukturelle Veränderungen in der Migrations- und Sozialpolitik – sowohl in Deutschland als auch auf europäischer Ebene. Nur so kann verhindert werden, dass Menschen in einer neuen Heimat ohne ein Dach über dem Kopf landen.
Quellen:
https://taz.de/Obdachlosigkeit-in-Polen/!5565671/
https://www.deutschlandfunkkultur.de/obdachlose-in-berlin-rueckkehr-nach-polen-100.html
https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/die-obdachlosen-polen-vom-ostbahnhof-3780412.html